Eschenfall
von Julius Greve
„In meiner Vorstellung ist das Möbel bereits ein fester Bestandteil unseres Heims“
Das Anfertigen eines Meisterstücks wird allgemein als hohe Kunst im Tischlerhandwerk anerkannt. Die Erwartungen sind hoch, Perfektion zu erschaffen. Für mich bedeutet es Entfaltung und Vertrauen in mich selbst. Ein handwerklicher Beweis dafür, dass man den Status eines Meisters erlangt. Das Verständnis davon, welches Maß an Selbstwirksamkeit man erlangt, ist beeindruckend. Es bedeutet die Verwirklichung von Kreativität. Weil ich es liebe!
Ich wohne zusammen mit meiner Frau und unserem Sohn in unserem Haus in Groß-
hansdorf. Das 22 Jahre alte Haus ist im Erdgeschoss großzügig geschnitten, sodass der Wohn- und Essbereich offen an die Küche anschließt. Der Einrichtungsstil ist eher modern und skandinavisch mit Möbeln und Fußboden aus rustikaler Eiche. Durch mehrere Terrassentüren dringt viel Licht herein und durch die warmen und kräftigen Farben des Interieurs entsteht eine gemütliche Stimmung.
Gegenüber vom Esstisch gibt es eine freie Wand, an der bislang ein offenes Regal seinen Platz hatte. Es entstand der Wunsch für diesen Ort ein Möbel zu entwickeln, das viel Stauraum bietet für Geschirr, Besteck, Vasen und Bücher.
Eine geschlossene Front soll mehr Ruhe bringen. Gleichzeitig ist uns Design wichtig, also
kombinierten wir unsere Wunschvorstellungen und entwickelten Eschenfall. Ein großer Schrank aus Esche mit einem organischen Design auf der Front.
Wir haben bereits viele warme Farben in Verwendung, deshalb kam die Idee auf, durch das Aufhellen mit Bleiche dem großen Möbel etwas Leichtigkeit zu verleihen. Als Finish
ist weiß pigmentiertes Natural Oil von Hesse eine optimale Wahl, um eine angenehme und
beständige Oberfläche zu erhalten. Dieses Öl beugt auch einem späteren Vergilben vor.
Grundsätzlich empfinde ich Symmetrie als beruhigend und ästhetisch, deshalb ist das bewusste Spielen mit dieser organischen, asymmetrischen Form für mich reizvoll. Ich wollte es lernen, wie man solche Formen erzeugt und bändigt, denn ohne die Anwendung einer modernen 3D-Zeichentechnik ist ein Skizzieren oder gar die Herstellung kaum
möglich. Eine sehr zeitintensive Angelegenheit. Als Inspiration dienten Einflüsse von Pinterest, ein Faltenwurf eines Textils und die Vorstellung eines Wasserfalls.
Entstanden ist dieses einzigartige Design, das je nach Betrachtungswinkel wieder neue Formen offenbart und einen zum visuellen Erkunden einlädt.
Eschenfall ist 1200mm breit, 2250mm hoch und 300mm tief. Er ist aus europäischer Esche gefertigt, ein fantastisches, heimisches Holz. Die Front ist an den beiden äußeren Dritteln um 25“ nach hinten hin abgeschrägt. Dadurch haben die Seiten eine Breite von 250mm und das Design hat somit mehr Freiraum, seine Plastizität zu entfalten. Die aufschlagenden Koffertüren sind fest mit den 20mm starken Lamellen verleimt. Es kommt ein enormes Gewicht von ca. 60 kg pro Türblatt zustande, da die massiven Lamellen
bis zu 180mm auftragen. Um diesen Kräften standzuhalten, kommen pro Tür jeweils drei, schwarz beschichtete Tectusbänder zum Einsatz. Die Lamellen werden stumpf verleimt und durch das Lamello Tenso System positioniert. Die Türen sind mit zwei quer zur Faser verleimten Aussteifungen versehen, dadurch ist es zwangsweise nötig, dass furnierte Stäbchenplatten als Trägermaterial der Lamellen herangezogen
werden.
Im Inneren findet man eine klare gespiegelte Struktur vor. Es gibt viele Konstruktionsböden und zwischen den zwei Mittelseiten sind drei bequem zu bedienenden Schubkästen angebracht. Diese werden auf mechanischen Vollauszügen geführt. Durch Bodenmontage und ein Einrücken nach innen sind die Blum Moventos unsichtbar und laufen nahezu lautlos. Die Schubkästen sind auf Gehrung konstruiert. Ebenso findet man umlaufend an allen Kanten eine Abschrägung nach innen vor, was zum haptischen erkunden einlädt. An der Oberkante befindet sich eine elegante Griffmulde.
Die schwarzen Abdeckungen der Tectusbänder und die Zierzinken stellen ein akzentuiertes Stilelement dar.
Auf gleicher Höhe befinden sich außen insgesamt vier kleine, komplett herausnehmbare Schubfächer. Dahinter steckt die Idee, dass beispielweise bei einem Filmeabend alle
Teilnehmer*innen ein eigenes Fach für Snacks bekommen könnten. Sie sind auf Laufleisten geführt, die Böden jeweils umlaufend eingenutet. Bemerkenswert ist an dieser Stelle ein verdeckter Mechanismus, der jeweils zwei Schubfächer auf einmal verriegelt. Durch das Heranführen eines Magneten kann man auf dem oberen Boden einen unsichtbaren Riegel ziehen, der jeweils zwei Schubfächer gleichzeitig freigibt. Der Mechanismus ist ebenfalls aus Esche gefertigt. Rundstäbe gleiten beim Verriegeln leicht in dafür vorgesehene Löcher in den Schubfachseiten. Der Riegel wird in einer angeschraubten Führung in Position gehalten. Der Griff mit dem Magneten ist später an einem unsichtbaren Ort im Schrank versteckt.
Als Basis für das Möbel dient ein 35mm hoher Sockel aus massiver Esche, der dezent zurückspringt. Darin sind Stahl-Sockelhöhenverstellbar zum Einbohren eingelassen, die man über 4er Inbus innen an den Seiten bedienen kann.
Seit Monaten habe ich nun an dem Konzept und den Details von Eschenfall gearbeitet. In meiner Vorstellung ist das Möbel bereits ein fester Bestandteil unseres Heims. Mit Vorfreude und Ehrfurcht blicke ich nun dem baldigen Fertigungsprozess und das Empfangen von Eschenfall an seinem zukünftigen Standort entgegen.




